„Sozial" definiert jeder Richter anders

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    • „Sozial" definiert jeder Richter anders

      Betriebsbedingte Kündigungen füllen den Arbeitsgerichten die Flure / Unterhaltspflichten müssen berücksichtigt werden

      Vom 20.01.2005

      Von
      Paul Glauben (dpa)
      Dem Chef fiel die Entscheidung schwer: Aus betrieblichen Gründen musste er Mitarbeiter entlassen. Dabei hatte er unter anderem die Wahl zwischen einem 37-jährigen zweifachen Familienvater und dessen 57-jährigen Kollegen. Er entschied sich zu Gunsten des Familienvaters. Vom Arbeitsgericht Frankfurt musste er sich dann sagen lassen, er habe eine falsche Sozialauswahl getroffen. Die geringeren Chancen des älteren Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt wogen nach Ansicht der Richter schwerer als die Unterhaltsverpflichtungen des zweifachen Vaters (Aktenzeichen: 1 Ca 5048/02).
      Diese und ähnliche Fälle haben die Forderung nach einer Abschaffung der unbestimmten Klausel im Kündigungsschutzgesetz laut werden lassen, wonach eine Kündigung "sozial gerechtfertigt" sein muss. Denn die Unbestimmtheit hat zur Konsequenz, dass die Arbeitsgerichte gefordert sind, der Klausel in jedem Einzelfall einen konkreten Inhalt zu geben.
      Doch die Gerichte urteilen nicht einheitlich. Anders als das Arbeitsgericht Frankfurt befand etwa das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt, je mehr Unterhaltspflichten den Mitarbeiter treffen, um so höher sei seine soziale Schutzbedürftigkeit (Aktenzeichen: 2 AZR 378/99). Daneben habe der Arbeitgeber aber auch zu prüfen, ob der gekündigte Mitarbeiter etwa wegen seines Alters oder wegen seiner Betriebszugehörigkeit schutzwürdiger sei als andere Kollegen (Aktenzeichen: 2 AZR 15/00). Ebenso urteilte das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz (Aktenzeichen: 3 Sa 159/98). Im Zweifel muss der Arbeitgeber also doch dem jüngeren Mitarbeiter kündigen.
      Leistungsfähigkeit
      des Mitarbeiters ist kein KriteriumEbenso belehrten die höchsten Arbeitsrichter einen Betriebsinhaber unmissverständlich, dass es nicht in erster Linie auf die betrieblichen Interessen ankomme. Daher sei eine Sozialauswahl unwirksam, wenn sich der Arbeitgeber allein an "Leistung, Fähigkeit, Eigenheit und sonstigem Verhalten" der Mitarbeiter orientiere (Aktenzeichen: 2 AZR 716/98).
      Eine junge Erzieherin hatte dagegen mehr Glück: In ihrem Fall entschieden die Bundesrichter, es müssten nicht immer soziale Kriterien ausschlaggebend sein, sondern der Arbeitgeber dürfe auch auf eine ausgewogene Altersstruktur setzen. Insbesondere in Kindergärten wäre andernfalls nur noch die "Großmüttergeneration" tätig (Aktenzeichen: 2 AZR 533/99).
      Einen anderen Gesichtspunkt zog das LAG Niedersachsen in einem Fall heran. Die Richter billigten einem Mitarbeiter eine erhöhte Schutzbedürftigkeit zu, weil er durch pflegebedürftige Angehörige gebunden und dadurch am Arbeitsmarkt schwerer vermittelbar war (Aktenzeichen: 10 Sa 409/02).
      Auch verwandtschaftliche Beziehungen dürfen nach Auffassung des LAG Rheinland-Pfalz bei der Sozialauswahl eine Rolle spielen. Im konkreten Fall hatte der Firmenchef bei der betriebsbedingten Kündigung eine Verwandte verschont und stattdessen einem anderen Mitarbeiter gekündigt. Das LAG wies dessen Kündigungsschutzklage als unbegründet ab (Aktenzeichen: 4 Sa 25/02).
      Größeren Spielraum lässt das BAG dem Arbeitgeber bei der Entscheidung, ob er sowohl voll- als auch teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter in die Sozialauswahl einbezieht. Diese Entscheidung hänge von der betrieblichen Organisation ab und könne von den Gerichten nur darauf überprüft werden, "ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist", so die Richter (Aktenzeichen: 2 AZR 341/98).
      Sowohl das BAG als auch die nachgeordneten Instanzen, wie etwa das LAG Rheinland-Pfalz (Aktenzeichen: 9 Sa 277/02) oder das Arbeitsgericht Frankfurt (Aktenzeichen: 9 Ca 1687/01) halten den Arbeitgeber für beweispflichtig, dass eine Kündigung sozial gerechtfertigt ist. Dies gilt nach Meinung der Richter sowohl für die betrieblichen Gründe, die zu der Kündigung geführt haben, als auch für die sachgerechte Sozialauswahl. Insbesondere beim Stellenabbau müsse nachvollziehbar dargelegt werden, so die Bundesrichter, wieso gerade der Arbeitsplatz des gekündigten Mitarbeiters wegfalle.

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